Geschlechtergerechte Sprache: Text-Bild-Schere im Kopf

Schere
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Geschlechtergerechte Sprache in der Gleichstellungsarbeit

„Ich bin kein Optimist“, sagte neulich jemand zu mir. Gut, dachte ich mir. Wir können ja auch nicht alle optimistisch sein. Ich bin es zumeist; aber nicht in allen Dingen. Bei diesem Thema, über das ich heute hier schreibe, schwanke ich regelmäßig zwischen Zuversicht und Verzweiflung. Das eben erwähnte Gespräch ließ mich eher zu Letzterem neigen. Denn was mein Gegenüber da sagte, stimmte zwar semantisch – also im Wortsinne. Diese Person vor mir konnte gar kein Optimist sein. Aber eine Optimistin durchaus.

Wortklauberei mögen manche denken. Aber: Wer von Euch hat beim Lesen des ersten Satzes nicht an einen Mann gedacht?

Die Aufgabe von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten mitsamt ihren Mitstreiter*innen ist es, andere zu überzeugen, zu begleiten und anzuleiten. Das funktioniert nur dann, wenn diese anderen auch verstehen, was wir sagen. Und das wiederum erfordert eine möglichst präzise und sorgsame Kommunikation. In der Gleichstellungsarbeit müssen wir – bei aller Diplomatie – die Dinge benennen, wie sie sind, und vor allem klar aussprechen, was dagegen oder dafür zu tun ist. Dafür müssen wir uns einer genauen Sprache bedienen. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn ich über eine Frau spreche, dann muss ich sie auch als solche bezeichnen.

Der Patient der Frauenärztin

Jüngst in einer großen und von mir geschätzten Tageszeitung: ein Artikel über eine Frauenärztin und ihre „Patienten“. Echt jetzt? Das ist aus meiner Sicht journalistische und sprachliche Faulheit. Bei Frauenärztinnen gibt es Patientinnen und keine Patienten. Wenn es sich in der Sache ausschließlich um Frauen dreht, warum sollen sie sich nur vom generischen Maskulinum mitgemeint fühlen? Oder andersherum: Fühlen sich die männlichen Leser zu Unrecht sprachlich ausgeschlossen, wenn in der gynäkologischen Praxis ausschließlich von Patientinnen die Rede ist?

Viele finden die geschlechtergerechte Sprache übertrieben oder sehen darin sogar das genaue Gegenteil von Gleichstellung. Aus ihrer Sicht war und ist gerade das generische Maskulinum Ausdruck davon, dass Männer und Frauen längst gleichbehandelt würden.

Aber weshalb hat sich die Sprache dann nicht dahin entwickelt, dass wir für alles, was uns betrifft, jeweils neutrale, also geschlechtslose Begriffe verwenden?

Neutral wäre ehrlicher

Das wäre eine ehrliche Neutralität. Stattdessen sollen Frauen sprachlich unsichtbar bleiben, sich mitgemeint fühlen und mit einer Fußnote zufriedengeben. Besonders schwer tut sich mein Gehirn mit solchen Gesprächen, wie das am Anfang von mir erwähnte: Sie lösen nämlich Text-Bild-Scheren zwischen meinen Synapsen aus. Text-Bild-Schere ist ein Fachbegriff aus der Fernsehproduktion und beschreibt die Situation, in der sich der hörbare Text und das sichtbare Bild widersprechen oder nichts miteinander zu tun haben. Sie lösen Fragezeichen im Gehirn aus, durch die es sich ablenken lässt, anstatt sich auf das zu konzentrieren, was eigentlich Thema sein soll. Und genau so ist es, wenn eine Frau vor mir sitzt und von sich in der männlichen Person spricht.

Und Achtung: Es geht hier ausdrücklich nicht um Menschen, die sich als trans, inter* oder nicht-binär bezeichnen. Sie wählen die jeweilige Wortform ganz bewusst aus. Ich unterstütze alle, die sich dafür einsetzen, dass sie dies auch angstfrei tun können.

Es geht mir aber genau um das Wörtchen „bewusst“. Viele Frauen verwenden ganz unbewusst das generische Maskulinum, weil sie nicht darüber nachdenken, wie sie es einfach (der männlich dominierten Kommunikation) nachmachen – und damit verstärken. Noch pessimistischer stimmen mich aber jene, die sich ganz bewusst für das generische Maskulinum entscheiden. Beispielsweise, weil sie sich damit – das wiederum bewusst oder unbewusst – bei der männlich dominierten Welt in Beruf, Ehrenamt, Gesellschaft etc. anbiedern wollen / nicht anecken wollen / nicht negativ auffallen wollen.

Im Umkehrschluss heißt das aber: Frau zu sein, sei etwas Negatives.

Ist das wirklich unsere Sicht auf uns selbst? Frauen sind minderwertig, haben sich unterzuordnen und haben in der männlich bezeichneten Masse unauffällig abzutauchen?

Ich selbst kann diese Fragen allesamt mit einem klaren Nein beantworten. 

Mensch, das haben wir nicht verdient!

Meine Überzeugungen lauten ganz anders: 

  • Als Mensch sehe ich alle Menschen mit den gleichen Rechten. 
  • Als Frau erachte ich das Frausein als an sich ebenso gut, schlecht und neutral wie das Mannsein. Die Wertung – ob gut oder böse – hängt am Charakter und Verhalten des einzelnen Menschen und nicht am jeweiligen Geschlecht. Vor allem aber bin ich davon überzeugt, dass das Frausein nicht etwas ist, das wir aus Prinzip als nervend, unwert oder unwürdig abtun dürfen. Das haben wir nicht verdient.
  • Und als ehemalige Gleichstellungsbeauftragte stehen mir die historisch gewachsenen Ungleichbehandlungen klar vor Augen, weswegen ich es als unverzichtbar erkenne, dass wir Frauen nicht nur in Beförderungsrunden, Führungspositionen-Besetzungen oder Gehaltspoker-Runden sichtbar machen, sondern auch in unserem wichtigsten und alltäglichen Werkzeug: in unserer Sprache.

Mein Appell, meine Bitte und auch meine Empfehlung ist daher: Gehe als Gleichstellungsbeauftragte, Frauenbeauftragte, Stellvertreterin, Vertrauensfrau oder GSB-Team-Mitglied damit so selbstverständlich um, wie es die Gleichstellung von Mann und Frau aus unserer Sicht schon längst sein sollte.Wenn wir in unserem überschaubaren GSB-Club – manche würden ihn eher als Gleib-Clique bezeichnen – das zur Normalität machen, dann werde auch ich bei diesem Thema ein Quäntchen mehr zur Optimistin.

*:_/I?

Der Stern ist nicht schnuppe

In jüngster Zeit hat die Debatte übers sprachliche Gendern eine weitere Dimension erhalten. Demnach reicht es nicht mehr aus, Männer und Frauen separat anzusprechen beziehungsweise auszusprechen; vielmehr gilt es auch, alle anderen Varianten der geschlechtlichen Identität zu berücksichtigen (LGBTI*Q).

Schriftlich hat sich dafür das Sternchen als bisher treffendste Lösung durchgesetzt oder scheint zumindest dabei zu sein, sich durchzusetzen.

In der gesprochenen Sprache indes stellt uns das stumme Sternchen vor ein neues Dilemma: Im schnellen Alltag wird die Pause immer kürzer oder fällt ganz aus. Damit setzt sich akustisch immer mehr das generische Femininum durch. Eine Bekannte von mir hat darüber neulich gejubelt, sie finde das nur gerecht.

Aus meiner Sicht geht das aber zu weit. Erste Studien haben auch bereits gezeigt, dass wir dabei als Zuhörer*innen ausschließlich Frauen vor Augen haben. Wenn wir es mit der Gleichstellung ernst meinen, dann müssen wir auch hier präzise bleiben und uns nicht mehr rausnehmen, als uns zusteht – auch wenn der Gedanke im Sinne von Revanche oder den Töchtern Egalias zweifelsohne verlockend erscheinen mag.

Erste Wahl sind also neutrale Begriffe wie Belegschaft, Mitarbeitende, Führungskräfte. Wenn es einen solchen nicht gibt, dann ist aktuell der Genderstern zu empfehlen: geschrieben und gesprochen.

Wir werden sehen, was der Sprachgebrauch und dann Duden & Co. in den kommenden Jahren noch daraus machen.

Sternschnuppe an buntem Nachthimmel

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